Der Fall Högel wirft Fragen zur Zeugenbeistandschaft auf. Hier erhalten Sie Informationen über die Rechtsstellung von Zeugen und die Funktionen eines Zeugenbeistands:

Das Gesetz sieht in § 68b der Strafprozessordnung ausdrücklich vor, dass Zeugen sich eines anwaltlichen Beistands bedienen können. Der Zeugenbeistand berät und unterstützt den Zeugen. – So, wie übrigens auch ein Steuerberater dem Steuerpflichtigen bei der Erfüllung von dessen Aufgaben hilft.

Doch während viele Menschen sich bei ihrer Steuererklärung ganz selbstverständlich von einem Steuerberater helfen lassen, halten manche zugleich Zeugen, die einen Zeugenbeistand haben, für verdächtig, die Zeugenbeistände selbst für unseriös. Nach allem, was über das Verhalten einiger Zeugen im Mordprozess gegen Högel berichtet wird, könnte man spätestens jetzt den Eindruck bekommen, es sei unmoralisch, ungesetzlich und unnütz, wenn Zeugen sich für ihre Vernehmungen anwaltlich beraten und begleiten lassen. Das liegt nicht an den Berichten der NWZ. Die machen den Eindruck, als sei das Prozessgeschehen mitsamt den teilweise wörtlich zitierten Aussagen inhaltlich richtig und der Form nach angemessen wiedergegeben. Was aber fehlt, sind Informationen über die Rechte eines Zeugen und die Aufgaben eines Zeugenbeistands.

Der Zeugenbeistand hat die Aufgabe, die dem Zeugen zustehenden Rechte zu schützen und ihm Ängste und Unsicherheiten zu nehmen.

In dem Verfahren gegen Högel war es offenbar der erste Stein des Anstoßes, dass das Klinikum Oldenburg seinen Mitarbeitern einen anwaltlichen Zeugenbeistand bezahlt hat. Der NWZ zufolge fanden die Polizeibeamten der Soko „Kardio“ es auffällig und ungewöhnlich, dass nahezu alle Mitarbeiter des Klinikums zu den polizeilichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren in Begleitung eines Rechtsanwalts erschienen waren und äußerten dies auch so vor Gericht. Dem Vorsitzenden Richter sei es in den knapp 20 Jahren seiner Richtertätigkeit ebenfalls „noch nicht vorgekommen, dass ein Arbeitgeber jedem seiner Arbeitnehmer einen Zeugenbeistand stellt und bezahlt“. Er habe an das Sprichwort erinnert „Wes’ Brot ich ess’, des Lied ich sing“ und gefragt, ob es sein könne, dass die Zeugenbeistände „eine Art Aufpasser“ sein sollten.

Dann schien sich dieser Verdacht auch noch zu bestätigen. Denn laut NWZ gab einer der Zeugen an, gerade deshalb keinen von der Klinik bezahlten Anwalt gewollt zu haben, weil er das Gefühl gehabt habe, man wolle ihn „auf eine gewisse Linie“ bringen. Und einer weiteren Zeugin sei es „komisch aufgestoßen“, dass der Anwalt mitteilen würde, „was man sagen darf und was nicht, oder wie man sich ausdrücken soll.“ Sie wisse nicht, warum ein Anwalt sie „einnorden sollte.“ Und schließlich ist auch noch bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft gegen vier Zeugen wegen des Verdachts des Meineids bzw. der uneidlichen Falschaussage ermittelt. Ausgerechnet die waren alle in Begleitung eines Zeugenbeistands erschienen.

Wozu braucht ein Zeuge einen Anwalt, wenn er einfach die Wahrheit sagen soll?

Man könnte genauso gut fragen, wozu jemand einen Steuerberater braucht, um ein paar Formulare auszufüllen. – Manche Zeugen sind schon durch die bloße Vorladung verunsichert. Sie wissen nicht, was bei einer Vernehmung auf sie zukommt, welche Bedeutung ihre Aussage hat und welche Rechte und Pflichten sie überhaupt haben. Und das mit der Wahrheit ist manchmal auch gar nicht so einfach. Viele Zeugen haben nicht nur irgendeine Beobachtung gemacht, die sie nun schildern sollen und die sie sonst nichts weiter angeht. Vielmehr sind Zeugen häufig selbst in die Geschichte involviert oder von deren Folgen betroffen. Das gilt nicht nur für die Verletzten der Tat. Einige Zeugen haben Angst wegen eines Fehlers zur Verantwortung gezogen zu werden. Andere wollen am liebsten vermeiden, dass jemand wegen ihrer Aussage Probleme bekommt. Und Arbeitnehmer fürchten häufig um ihren Arbeitsplatz. Da können juristische Laien kaum erkennen, welche Handlungsmöglichkeiten sie haben. Sie können sich dann von einem Zeugenbeistand beraten und begleiten lassen.

Was macht ein Zeugenbeistand im Strafverfahren?

Vor der Zeugenvernehmung bespricht der Zeugenbeistand mit dem Zeugen den Ablauf und voraussichtlichen Inhalt der Vernehmung. Er prüft in jedem Einzelfall, ob der Zeuge besondere Rechte wie ein Auskunftsverweigerungsrecht hat und berät ihn darüber, ob und wie diese Rechte ausgeübt werden sollen. Manchmal erhalten Zeugen auch die Gelegenheit, schriftlich auf bestimmte Fragen zu antworten, dann ist der Rechtsanwalt dabei natürlich behilflich. Meistens begleitet der Zeugenbeistand den Zeugen zu der Vernehmung.

Bei Vernehmungen vor der Polizei oder Staatsanwaltschaft ist es dann häufig erforderlich, den Vernehmungstermin zu verlegen. Die allermeisten Vernehmungsbeamten verhalten sich dabei sehr fair und kooperativ. Ich versuche immer, direkt mit der zuständigen Vernehmungsperson zu telefonieren. Dann kann ich schon einmal etwas Vertrauen aufbauen und erfahre auch gleich, wie lange die Vernehmung voraussichtlich dauern wird, ob noch andere Personen bei der Vernehmung dabei sein werden wie z.B. der ermittelnde Staatsanwalt oder jemand von der Steuerfahndung.

Bei der Vernehmung herrscht schon gleich eine entspanntere Atmosphäre, wenn ich zuvor Kontakt zu den Vernehmungsbeamten hatte. Das gilt übrigens auch dann, wenn ausnahmsweise einmal jemand ganz offen eine kritische Haltung gegenüber der Zeugenbeistandschaft einnimmt und etwa äußert, ein Zeuge, der sich nichts vorzuwerfen habe, brauche keinen Rechtsanwalt. Dann ist es für den Zeugen natürlich auch angenehmer, wenn ich schon vorab Gelegenheit hatte, Vorbehalten entgegenzuwirken und die Position des Zeugen zu verdeutlichen.

Während der Zeugenvernehmung hat der Beistand das Recht auf Anwesenheit und schützt die Rechte des Zeugen. Er achtet auf eine korrekte Belehrung, weist unzulässige Fragen zurück und sorgt dafür, dass die Aussage richtig protokolliert wird. Der Zeugenbeistand ist zwar selbst kein Verfahrensbeteiligter wie z.B. ein Nebenklagevertreter und darf deshalb auch keine eigenen Fragen stellen. Er kann erst recht nicht anstelle des Zeugen aussagen. Aber der Zeugenbeistand darf und muss eingreifen, wenn er merkt, dass es auf Seiten des Zeugen oder Vernehmungsbeamten zu einem Missverständnis gekommen ist, damit dies klargestellt wird. Er kann auch die Korrektur des Protokolls verlangen, wenn darin Dinge vermerkt sind, die der Zeuge so nicht gesagt hat oder wenn wichtige Aspekte weggelassen wurden, so dass der Sinn der Aussage dadurch verfälscht würde.

Nach der Vernehmung erhalten der Zeuge und sein Beistand in den allermeisten Fällen keine Abschrift des Protokolls. Außerdem sind darin zumeist die Fragen, die dem Zeugen gestellt wurden, nicht festgehalten, sondern nur die jeweiligen Antworten des Zeugen. Deshalb fertigt der Zeugenbeistand normalerweise ein Gedächtnisprotokoll über den Ablauf und genauen Inhalt der Vernehmung einschließlich der Fragen und Antworten.

Darf der Zeugenbeistand – wie aus dem Verfahren gegen Högel berichtet – dem Zeugen mitteilen, was der sagen darf und was nicht, oder wie er sich ausdrücken soll?

Grundsätzlich hat jeder Zeuge die Pflicht, wahrheitsgemäß auszusagen und dabei nichts hinzuzufügen und auch nichts wegzulassen. Davon gibt es wichtige Ausnahmen: Wer aus persönlichen oder beruflichen Gründen ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, etwa weil er der Ehegatte des Beschuldigten ist oder Arzt, muss überhaupt nicht aussagen. Außerdem hat jeder hat das Recht, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, durch deren Beantwortung er sich oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Der Zeugenbeistand ist berechtigt und auch verpflichtet, einen Zeugen darauf hinzuweisen, wenn der mit der Antwort auf eine Frage in eine solche Verfolgungsgefahr geraten würde und deshalb ein Auskunftsverweigerungsrecht hat. Der Zeuge muss aber selbst entscheiden, ob er trotz Auskunftsverweigerungsrecht aussagen möchte – und auch in diesem Fall muss die Aussage wahrheitsgemäß erfolgen.

Normalerweise muss der Zeugenbeistand den Zeugen erst einmal reden lassen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Er ist aber zugleich verpflichtet, den Zeugen davor zu bewahren, sich durch eine ungeschickte Ausdrucksweise selbst zu belasten oder gar eine missverständliche und diesem Sinne auch falsche Aussage zu machen.

Der Zeugenbeistand hilft dem Zeugen, unüberlegte, ungenaue und unwahre Aussagen zu vermeiden. Dazu ein Beispiel:

Im Vorgespräch berichtet der Zeuge dem Anwalt, er habe gesehen, wie der Beschuldigte mit dem Auto davongerast sei. Auf die Frage des Zeugenbeistands, ob der Beschuldigte denn auffallend schnell gefahren sei, verneint der Zeuge dies und gibt an, der Beschuldigte sei „ganz normal davongefahren“. Dann muss der Zeugenbeistand dem Zeugen sagen, dass eine Formulierung wie „davonrasen“ einen falschen Eindruck von der Wahrnehmung des Zeugen hervorrufen kann. Umgekehrt darf der Zeugenbeistand aber nicht darauf hinwirken, dass der Zeuge seine Aussage verfremdet oder die eigentliche Wahrnehmung verschleiert. Hat der Zeuge wirklich gesehen und den Eindruck gehabt, der Beschuldigte sei davongerast, darf der Zeugenbeistand dem Zeugen nicht raten, dies in der Vernehmung abzuschwächen und besser nur anzugeben, der Beschuldigte sei „eher langsam gefahren, also normal eigentlich.“

Darf der Zeugenbeistand dem Zeugen während der Vernehmung helfen?

Ja, der Zeugenbeistand hat bei den Vernehmungen des Zeugen ein Anwesenheitsrecht. Es ist dabei gerade die Aufgabe des Zeugenbeistands, den Zeugen zu unterstützen. Er kann deshalb z.B. unzulässige Fragen zurückweisen oder um eine Unterbrechung bitten, wenn der Zeuge sich verheddert oder in die Gefahr begibt, sich ungewollt selbst zu belasten. Und manchmal muss der anwaltliche Beistand auch dafür sorgen, dass der Zeuge Gelegenheit erhält, eine missverständliche Aussage richtigzustellen.

Dazu ein Beispiel:

In einem Betrieb kommt es zu einem tödlichen Unfall. Die Frage ist, ob eine bestimmte Maschine regelmäßig und ordnungsgemäß gewartet wurde. Es werden alle Mitarbeiter befragt, die für die Wartung dieser Maschine zuständig sind. Ein Zeuge hat die Aufgabe, die Arbeiter für die Wartung einzuteilen. Die Arbeiter müssen jeweils in einem Kontrollblatt eintragen, dass sie die Wartung tatsächlich vorgenommen haben, und der Zeuge ist verpflichtet, die Eintragungen in diesem Kontrollblatt zu überprüfen. In seiner Vernehmung sagt der Zeuge auf die Frage, ob die Wartung ordnungsgemäß durchgeführt wurde: „Woher soll denn ich das wissen. Ich habe doch mit der Wartung überhaupt nichts zu tun und kümmere mich auch nicht darum.“ Das ist für den Zeugen gefährlich, weil es klingt, als habe er seine Pflichten verletzt und sich durch die Überprüfung des Kontrollblatts nicht davon überzeugt, dass die Maschine regelmäßig gewartet wurde. Wenn der Vernehmungsbeamte jetzt nicht nachfragt, muss der Zeugenbeistand eingreifen. Er muss den Zeugen darauf hinzuweisen, wie seine Aussage verstanden werden könnte und ihn fragen, ob er das wirklich so gemeint habe. Dann kann der Zeuge sich korrigieren und sagen: „Ich wollte damit sagen, dass es nicht zu meinen Aufgaben gehört, zu prüfen, ob die Leute die Maschine richtig warten. Ich gehe auch nie selbst an die Maschine. Ich muss nur prüfen, ob da ein Eintrag auf dem Kontrollblatt ist. Das habe ich natürlich gemacht, da war immer alles in Ordnung.“

Darf der Zeugenbeistand sich vom Arbeitgeber des Zeugen bezahlen lassen?

Ja, natürlich. Der Zeugenbeistand muss dann sowohl dem Zeugen als auch dessen Arbeitgeber deutlich machen, dass er wie bei allen anderen Mandaten auch ausschließlich dem Mandanten verpflichtet ist – und nicht dessen Arbeitgeber. Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber kann den Zeugenbeistand für seine Mitarbeiter zwar bezahlen, aber nicht kaufen. Der Zeugenbeistand darf also die Aussage des Zeugen nicht zugunsten des Arbeitgebers manipulieren oder den Zeugen „einnorden“, wie es im Högel-Prozess hieß. Hat der Zeuge gesehen, dass der Arbeitgeber mit dem Auto „davongerast“ ist, darf der Zeugenbeistand ihm nicht raten, stattdessen anzugeben, der Arbeitgeber sei mit dem Auto „davongeschlichen.“

Bei Betriebsunfällen oder umfangreicheren Wirtschaftsstrafverfahren übernehmen der Arbeitgeber oder dessen Rechtsschutzversicherung sehr häufig die Kosten für die Zeugenbeistandschaft der Mitarbeiter. Das ist ein Gebot der Fürsorge und auch Fairness. Allein schon der Verdacht einer Straftat löst in den Betrieben regelmäßig eine große Unruhe und Verunsicherung bei der Belegschaft aus. Während Arbeitgeber und Firmen meist gut anwaltlich vertreten sind, erfahren die Mitarbeiter nur selten, worum es eigentlich geht. Und viele können sich einen eigenen Rechtsanwalt auch gar nicht leisten. Da ist es besonders wichtig, ihnen einen neutralen Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen, der ihnen die Abläufe erklären kann und auch persönlich zur Seite steht.

 

Darf der Zeugenbeistand in einem Verfahren mehrere Zeugen vertreten?

Selbstverständlich. Der Rechtsanwalt darf gleichzeitig mehrere Zeugen oder übrigens auch gleichzeitig mehrere Verletzte vertreten. Er muss aber darauf achten, dass kein Interessenkonflikt vorliegt. Er kann deshalb nicht zugleich Strafverteidiger und Zeugenbeistand sein. Wenn der Rechtsanwalt mehre Zeugen vertritt, von denen einer im Laufe des Verfahrens beschuldigt wird, muss er dieses Mandat daher niederlegen.